Die Kunst des konzentrierten Arbeitens: Warum unser Gehirn nicht perfekt sein muss

von Sophie Kill

Neurowissenschaftler Henning Beck erklärt in seinem Buch Besser denken - Fokussieren. Verstehen. Entscheiden sowie in seinem Beitrag bei Deutschlandfunk Kultur Die Kunst besteht darin, in Sprints zu arbeiten", wie wir in einer ablenkungsreichen Welt fokussiert bleiben. In einer Welt, die von ständigen Benachrichtigungen, Multitasking und digitalen Ablenkungen geprägt ist, stellt sich die Frage: Wie können wir noch konzentriert und produktiv arbeiten?

Seine zentrale Botschaft: Unser Gehirn ist nicht perfekt und das ist gut so.

Henning Beck bringt es auf den Punkt: "Kein Organ ist so gut erforscht wie das Gehirn und gleichzeitig so unbekannt." Diese scheinbare Widersprüchlichkeit spiegelt wider, was viele von uns im Arbeitsalltag erleben. Wir wissen theoretisch, wie wichtig Konzentration ist, doch in der Praxis fällt es uns zunehmend schwer, fokussiert zu bleiben. Die moderne Arbeitswelt konfrontiert uns mit einer Flut von Reizen und Anforderungen. E-Mails, Meetings, Smartphone-Benachrichtigungen und die permanente Erreichbarkeit führen dazu, dass tiefe Konzentrationsphasen zur Seltenheit werden. Diese Entwicklung hat nicht nur Auswirkungen auf unsere Produktivität, sondern auch auf unsere psychische Gesundheit am Arbeitsplatz.

Die Lösung: Arbeiten in Sprints statt Marathon

Beck plädiert für einen grundlegend anderen Ansatz: "Die Kunst besteht darin, in Sprints zu arbeiten." Statt zu versuchen, acht Stunden am Stück konzentriert zu bleiben was neurobiologisch ohnehin unmöglich ist sollten wir bewusst Phasen tiefer Konzentration mit Erholungsphasen abwechseln. Das Gehirn benötigt diese Wechsel, um optimal zu funktionieren. Während intensiver Arbeitsphasen sollten wir alle Ablenkungen eliminieren insbesondere das Smartphone. In den Pausen hingegen darf und soll sich das Gehirn erholen und abschweifen. Diese Erkenntnis deckt sich mit modernen Ansätzen der Gesundheitsförderung und Personalentwicklung, die auf nachhaltige Leistungsfähigkeit statt auf permanente Höchstleistung setzen.

Prokrastination verstehen statt bekämpfen

Ein weiterer wichtiger Aspekt, den Beck anspricht, ist das Phänomen der Prokrastination das Aufschieben von Aufgaben. Statt dies als persönliches Versagen zu betrachten, sollten wir es als Signal unseres Gehirns verstehen. Oft prokrastinieren wir, weil unser Gehirn überfordert ist oder weil die Aufgabe nicht klar genug definiert ist. Die Lösung liegt nicht in mehr Disziplin, sondern in besserer Arbeitsorganisation und dem Verständnis für die Funktionsweise unseres Gehirns. Hier können professionelle Ansätze wie Coaching und Teamentwicklung helfen, individuelle Arbeitsstrategien zu entwickeln, die zur eigenen Gehirnfunktion passen.

Die Rolle der Führung: Konzentration ermöglichen

Für Unternehmen und Führungskräfte ergeben sich aus Becks Erkenntnissen wichtige Implikationen. Eine Arbeitskultur, die permanente Erreichbarkeit und Multitasking fördert, arbeitet gegen die natürliche Funktionsweise des Gehirns. Stattdessen sollten Organisationen Rahmenbedingungen schaffen, die konzentriertes Arbeiten ermöglichen.

Dies umfasst konkrete Maßnahmen wie:

Strukturelle Veränderungen: Unternehmen sollten Zeitfenster für konzentriertes Arbeiten ohne Meetings und Unterbrechungen etablieren. Die Implementierung solcher Strukturen kann durch BGM-Implementierung und Evaluation professionell begleitet werden.

Führungskultur: Führungskräfte müssen lernen, die Bedeutung von Konzentrationsphasen zu verstehen und vorzuleben. Führungskräfteentwicklung mit Fokus auf gesunder Führung hilft dabei, diese neue Haltung zu verankern.

Technologie-Management: Der bewusste Umgang mit digitalen Tools und die Reduktion von Benachrichtigungen sollten Teil der Unternehmenskultur werden.

Psychische Belastung am Arbeitsplatz reduzieren

Die ständige Ablenkung und der Druck, permanent produktiv sein zu müssen, sind wesentliche Faktoren für psychische Belastungen am Arbeitsplatz. Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet Unternehmen bereits, diese Belastungen zu erfassen und zu reduzieren. Eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen kann dabei helfen, systematisch zu erfassen, wo Mitarbeitende durch Arbeitsorganisation, Unterbrechungen und fehlende Konzentrationsmöglichkeiten belastet werden. Die Erkenntnisse der Neurowissenschaft zeigen: Es geht nicht darum, dass Menschen sich mehr anstrengen müssen. Vielmehr müssen wir Arbeitsbedingungen schaffen, die der Funktionsweise unseres Gehirns entsprechen. Dies ist nicht nur eine Frage der Produktivität, sondern auch der betrieblichen Gesundheitsförderung.

Praktische Umsetzung im Arbeitsalltag

Timeboxing: Planen Sie bewusst 60-90-minütige Konzentrationsphasen ein, gefolgt von echten Pausen. Während dieser Phasen sollten alle Benachrichtigungen ausgeschaltet sein.

Smartphone-freie Zonen: Schaffen Sie physische oder zeitliche Bereiche, in denen das Smartphone keinen Platz hat. Becks Forderung nach Konzentration "ohne Smartphone" ist hier zentral.

Aufgabenklarheit: Brechen Sie große Projekte in kleinere, klar definierte Aufgaben herunter. Dies reduziert Prokrastination und erleichtert den Einstieg in konzentriertes Arbeiten.

Kommunikationsregeln: Etablieren Sie im Team klare Regeln, wann sofortige Antworten erwartet werden und wann Verzögerungen akzeptabel sind. Konfliktmanagement und Moderation können helfen, solche Vereinbarungen zu treffen.

Analyse bestehender Strukturen: Wie viele Meetings gibt es wirklich? Wie oft werden Mitarbeitende unterbrochen? Welche technischen Tools fördern oder behindern Konzentration? Diagnostik und Analysen können hier wertvolle Erkenntnisse liefern.

Darauf aufbauend gezielte Interventionen entwickeln: von der Umgestaltung von Büroräumen über die Einführung neuer Kommunikationsregeln bis hin zu Schulungen für Führungskräfte und Mitarbeitende. Jahreskampagnen und Aktionen können das Bewusstsein für die Bedeutung von Konzentration und Achtsamkeit im Arbeitsalltag stärken.

Fazit: Neurowissenschaft trifft Arbeitspraxis

Indem wir verstehen, wie unser Gehirn funktioniert, können wir Arbeitsbedingungen schaffen, die nicht gegen, sondern mit unserer Biologie arbeiten. Für Unternehmen bedeutet dies eine Investition in betriebliches Gesundheitsmanagement und nachhaltige Personalentwicklung. Die Vorteile sind vielfältig: höhere Produktivität, bessere Arbeitsergebnisse, zufriedenere Mitarbeitende und geringere krankheitsbedingte Ausfälle. Die Kunst des konzentrierten Arbeitens ist erlernbar sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene. Sie erfordert jedoch ein Umdenken: weg von der Illusion permanenter Verfügbarkeit und Multitasking-Fähigkeit, hin zu einer realistischen und gehirngerechten Arbeitsorganisation.

Referenzen

1. Deutschlandfunk Kultur (2025). Henning Beck Die Kunst besteht darin, in Sprints zu arbeiten". Im Gespräch. https://www.deutschlandfunkkultur.de/neurowissenschaftlerhenning-beck-unser-gehirn-ist-nicht-perfekt-das-ist-gut-so-100.html

2. DPG Institut. Leistungen: Betriebliches Gesundheitsmanagement, nachhaltige Personalentwicklung und systemische Organisationsentwicklung. https://dpginstitut.de/leistungen

3. Beck, H. (2025). Besser denken - fokussieren, verstehen, entscheiden. Econ